alle die den Vorträgen am Myasthenie Tag in Marburg mit sehr großem Interesse folgten, haben den einen oder anderen Einwand aus den Reihen der an Myasthenie oder am Lambert-Eaton-Syndrom Erkrankten wahrgenommen. Es wurden Fragen zur Behandlung des Lems und zur Medikamenten-beschaffung erörtert. Auch haben die Zuhörer bewusst die Klagen der Deutschen Myasthenie Gesellschaft vernommen, dass in unserem Gesundheitssystem seltene Krankheiten einfach vergessen werden und die sichere Versorgung mit Medikamenten nicht immer gewährleistet ist. Das grenzt an Fahrlässigkeit und ist meines Erachtens ein Versagen unseres Gesundheitssystems.
Bei einer Ablehnung eines Leitlinien gerechten Medikamentes durch den Medizinischen Dienst der Krankenkasse bleibt dem Betroffenen nach dem begründeten Widerspruch nur noch die Klage am Sozialgericht mit meist ungewissem Ausgang. Die Deutsche Myasthenie Gesellschaft ist bemüht, in diesen Fällen Hilfe und Unterstützung zu gewähren.
Noch bedauerlicher ist die Versorgung beim Lambert-Eaton-Syndrom (LEMS; myasthenic syndrome)
Substanz 3,4-Diamino-pyridin (3,4-DAP) ist weltweit die wesentliche, leitliniengerechte Substanz, die zur symptomatischen Therapie der neuromuskulären Übertragungsstörung geeignet ist. Die früher und heute auch noch in Kombination angewandte Substanz Pyridostigmin-bromid ist zwar für Myasthenia gravis (MG) aber nicht für LEMS zugelassen, Studien mit Pyridostigmin-bromid liegen nicht vor, obwohl Kalymin® für das Anwendungsgebiet LEMS, wohl per Nachzulassung, zugelassen scheint. Dementsprechend findet sich 3,4-DAP in den Leitlinien der Deutschen Gesellschaft für Neurologie ebenso wie in anderen Leitlinien weltweit. Die EMEA hat 3,4-DAP den Orphan-drug-Status gegeben, es darf in der BRD vertrieben werden, die Herstellung ist im Deutschen Rezeptformular (DRF) als Substanz beschrieben.
Jedoch werden in vielen Fällen Verordnungen auch von Myasthenie-Spezial-Ambulanzen von den Krankenkassen abgelehnt, mit der Begründung 3,4-DAP sei kein zugelassenes Medikament und somit auch nicht als Medikament erstattungsfähig. Vor diesem Hintergrund sind Argumente des MDK in Gerichtsverfahren, die 3,4-DAP nicht als Arzneimittel einstufen, schwer verständlich und vermutlich sachlich falsch.
Eine Versorgungslücke oder gar ein Systemversagen können die Medizinischen Dienste nicht erkennen. Bei der oft routinemäßigen(?) primären Ablehnung verweist die Krankenkasse auf den Klageweg. Patienten haben immer noch die Möglichkeit, über die einstweilige Anordnung einen für sie lebenswichtigen Wirkstoff einzuklagen. Eine Klage am Sozialgericht in unserem Lande dauert fast in jedem Fall über ein Jahr bis es zu einem Urteil kommt. In einigen Fällen erkennen die Richter die Notlage der Betroffenen und drängen auf eine Vereinbarung mit der Krankenkasse. Die Kasse zahlt und verweist dann erst auf einen individuellen Behandlungsversuch. Die Entscheidungen am Sozialgericht betreffen nur den einzelnen klagenden Patienten und können nicht als Grundsatzentscheidung betrachtet werden. Aber sagt man nicht „viele Tropfen höhlen den Stein“.
Wenn Menschen, in einer Phase wo sie alle Kraft und Energien benötigen, um eine möglicherweise lange andauernde Gesundheits- Krise zu bewältigen, auch noch vor Gericht klagen müssen, kommt man nicht an dem Gedanken vorbei, dass hier unser Gesundheitssystem eben doch – vielleicht ungewollt – versagt hat. Es kann nicht sein, dass leitliniengerechte Therapiealternativen vom System ausgeschlossen werden, auch dann wenn sie durch langjährige spezialisierte Expertise erworben wurden, d.h. regelhaft nur über die Klagen vor Sozialgerichten zu bekommen sind. Für viele seltene und auch sehr seltenen Erkrankungen ist überhaupt kein zugelassenes Medikament verfügbar, und in Gebieten mit rasch voranschreitender Forschung hinkt der Zulassungsstatus der Präparate weit hinter den Therapiestandards her. Dies gilt insbesondere für die Krebstherapie, die Neurologie und die Kinderheilkunde. Trotzdem müssen sich die Krankenkassen in Deutschland zunächst gesetzesgemäß weigern, die Kosten für diesen „off-label“ Einsatz von Medikamenten zu übernehmen, und ein Prüfverfahren einleiten. Verfahren, die einen Expertise-gestützten vorläufigen Behandlungsbeginn (z.B. entsprechend dem Konzept des „compassionate use“, wie er nach den EU-Richtlinien festgelegt ist), zeichnen sich zwar ab, aber benötigen unangemessene Zeiträume bis zur Hilfe im Alltag des Kranken.
Es wäre den Entscheidungsträgern in unserem Gesundheitssystem zu wünschen nicht nur mit Regeln und Paragrafen ihre Entscheidungen zu „in den Raum zu stellen“, sondern auch mit Herz und persönlichem Mut im Sinne der Menschlichkeit zu handeln.
Hans Rohn
Hallo zusammen,
was die medizinsche Versorgung der Krankenkassen angeht, so könnte es sogar schon reichen, wenn seitens des MDK fachliche! Entscheidungen getroffen werden. Unter „fachlich“ verstehe ich als Betroffene, dass ein Arzt beim MDK (Medizinischer Dienst der Kassen) sich mit leitliniengerechten Therapiealternativen seiner erfahrenen, behandelnden! Kollegen auch wirklich auseinandersetzt.
Ich vermute, dass Unklarheiten bzw. „Hintertürchen“ in der Definition des Off-Label-Use ausgenutzt werden und leider zu ungunsten des Patienten interpretiert werden, um die Langatmigkeit eines Klageverfahrens auszunutzen. Mit jedem Widerspruch bleibt das Geld erstmal bei der GKV.
Dabei wird vergessen, dass der behandelnde Neurologe mitunter den grossen „Patientenfrust“ gleich mitbehandeln muss, in Form von Psychotherapien, Rückfällen etc.., was die Behandlung gewiss unnötig verteuert.
Deshalb ist es für alle LEMS’ler und MG’ler gut, dass die Off-Label-Use-Expertengruppe des G-BA (Gemeinsamer Bundesausschuss) Therapien, wie z.B. intravenöse Immunglobuline, CellCept, Tacrolimus, in eine positive Liste aufnimmt. Das Gerangel um „evidenz-basierte“ Studien, die der MDK sehr oft falsch interpretiert, ist dann nicht mehr ganz so vordergründig. Die Gesetzeslage zum Off-Label-Use ist ohnehin schwer zu verstehen, erst recht, wenn man sich als betroffener Patient und „Laie“ zwangsläufig damit auseinandersetzen muss!
Erfreulich wäre eine baldige Zertifizierung der Myasthenie-Zentren, so dass eine qualitative, einheitliche Versorgung garantiert ist.
Vielleicht bleibt uns dann einiges erspart und mancher kommt spätestens dann in den Genuss einer dem Schweregrad der Erkrankung angemessenen Dauerbehandlung.
LG Jutta O.