Wird die Entscheidung über die Einführung einer Mindestmengenregelung in der Neonatologie kurz vor Weihnachten zur Bewährungsprobe für den Gemeinsamen Bundesausschuss (G-BA)?
„Mindestens jedes fünfte Frühgeborene mit geringem Geburtsgewicht könnte noch leben!“. Diese Meldung der medizinischen Fachgesellschaften schreckte im Frühling letzten Jahres die
Öffentlichkeit auf. Aktuelle Studien belegten, dass Überleben und Gesundheit der Frühchen ganz entscheidend davon abhängig sind, in welcher Klinik sie behandelt werden. Es hatte sich nämlich
herausgestellt, dass die Sterberate von Frühchen mit sehr geringem Geburtsgewicht von unter 1500 Gramm dramatisch ansteigt, wenn eine gewisse Mindestmenge bei der Behandlung unterschritten wird.
Nachweislich wachsen dagegen die Überlebenschancen und die Aussichten auf ein Leben ohne größere Behinderungen, wenn die Frühchen in spezialisierten Zentren betreut werden. Als zentrale Organisation, die bundesweit die Interessen zu früh geborener Kinder und ihrer
Angehörigen vertritt, setzt sich der Bundesverband „Das frühgeborene Kind“ e.V. deshalb nachdrücklich für die Festsetzung einer Mindestmenge ein. Dies allerdings lehnt der Gemeinsame Bundesausschuss als das hierfür zuständige Gremium bislang ab.
Eine von ihm in Auftrag gegebene wissenschaftliche Auswertung durch das „Institut für Qualität und Wirtschaftlichkeit im Gesundheitswesen – IQWiG“ bestätigte schließlich im Abschlussbericht vom August dieses Jahres einen „signifikanten Zusammenhang zwischen Leistungsmenge und
Ergebnisqualität“.
Einzig die Patientenvertreter im G-BA unter Federführung des Bundesverbandes „Das frühgeborene Kind“ haben daraus aufgrund der überzeugenden Studienlage Konsequenzen gezogen und inzwischen einen eigenen Antrag auf Einführung einer Mindestmenge von 36 eingebracht. Auch maßgebliche Vertreter der Politik, darunter die Bundesministerin für Gesundheit, Ulla Schmidt, und der Gesundheitsexperte der SPD, Karl Lauterbach, haben sich inzwischen deutlich für die Einführung von
Mindestmengen ausgesprochen. Trotzdem wurde der Antrag der Patientenvertreter bereits im November vom zuständigen Unterausschuss abgewiesen.
Stattdessen soll nun auf Vorschlag der Deutschen Krankenhausgesellschaft (DKG) im Einvernehmen mit dem Spitzenverband der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) wider besseres Wissen lediglich eine so genannte „Gelegenheitsversorgung“ ausgeschlossen werden.
Das bedeutet, dass besonders kleine Frühgeborene in Kliniken behandelt werden dürfen, wenn zwischen den Aufnahmen einzelner Kinder in den letzten zwölf Monaten durchschnittlich weniger als fünf Wochen liegen. Dies entspricht nur rund zehn bis zwölf sehr kleinen Frühgeborenen pro
Jahr. Der Gemeinsame Bundesausschuss (G-BA) wird über beide Anträge im Rahmen einer Plenumssitzung am 18.12.08 zu entscheiden haben. Die Sitzung findet von 11.00 bis 17.00 Uhr im Haus der Kassenärztlichen Bundesvereinigung (KBV), Herbert-Lewin-Platz 2, 10623 Berlin, statt.
Im Anschluss ist eine Pressekonferenz vorgesehen. Patientenvertreter haben zwar ein Antrags- und
Mitberatungsrecht, jedoch kein Stimmrecht. Es ist deshalb zu befürchten, dass ihr Antrag auch hier scheitern wird.
Damit würde sich an der Versorgungssituation in Deutschland rein gar nichts ändern. Leichtfertig wird so über Kinder in extremen, hochrisikobehafteten und immer lebensbedrohenden Situationen weit vor
dem planmäßigen Beginn ihres Lebens entschieden. Sie benötigen nicht nur Hightechmedizin, sondern besonders erfahrene Ärzte und Pflegekräfte, die auf solche Situationen vorbereitet sind und sich im
ständigen „Training“ befinden. Eine Fallzahl von zehn bis zwölf sehr unreifen Frühgeborenen pro Jahr würde bedeuten, dass der durchschnittliche diensthabende Arzt aus einem Schichtdienstsystem nur
zweimal pro Jahr bei der Versorgung eines solchen Kindes aktiv beteiligt ist. Einzelne werden in einem Jahr vielleicht auch vier solcher Kinder sehen, andere gar keines! Wie aber sollen Ärzte unter
diesen Voraussetzungen die notwendige Übung erhalten und aufrechterhalten? Weiter werden es also unsere Kinder mit ihrem Leben oder gravierenden Behinderungen bezahlen müssen, dass sich
Krankenhauslobbyisten in unserem Gesundheitswesen durchsetzen.
Wer würde wohl sein Auto in eine Werkstatt geben, in der der einzelne Mechaniker nur zweimal im Jahr ein Auto repariert?
Pressekontakt:
(auch vor Ort in Berlin am 18.12.08)
Hans-Jürgen Wirthl
Stv. Vorsitzender
Bundesverband „Das frühgeborene Kind“ e.V.
Tel.: 0174/3088531
E-Mail: wirthl@fruehgeborene.de