Fachartikel: Was ist sind Kongenitale Myasthenie-Syndrome? (CMS)

Kongenitale myasthene Syndrome sind angeborene Störungen der neuromuskulären Signalübertragung, deren Ursache nicht wie bei der Myasthenia gravis ein Autoimmunprozess, sondern ein genetischer Defekt an der Überleitungsstelle vom Nerv zum Muskel (Synapse) ist. Die Symptomatik zeigt sich überwiegend in den ersten zwei Lebensjahren, bei bestimmten Gendefekten vereinzelt auch erst in der Pubertät oder im  Erwachsenenalter.

Diesen sehr seltenen, angeborenen Erkrankungen liegen unterschiedliche Störungen der neuromuskulären Signalübertragung zugrunde:

Die kongenitalen Myasthenie-Syndrome

  • Präsynaptische Defekte: Kongenitales Myasthenie-Syndrom mit episodischen Apnoen (Mutationen im Gen für die Cholin-Acetyltransferase) (früher auch als Familiäre infantile Myasthenie bezeichnet)
  • Syndrom mit Vesikel-Mangel und reduzierter Quantenfreisetzung
  • Kombinierte prä- und postsynaptische Defekte: Acetylcholinesterase-Defizienz (Mutationen im COLQ-Gen)
  • Postsynaptische Defekte

Mit maßgeblicher Veränderung der kinetischen Eigenschaften des AChR-Ionenkanals (teilweise mit AChR-Defizienz): verlängerte Offenzeit des AChR-Ionen-kanals; verkürzte Offenzeit des AChR-Ionenkanals.

Defizienz des AChR-Ionenkanals (teilweise gering-fügige Veränderungen der kinetischen Eigenschaften des AChR): Mutationen in den Genen für die Untereinheiten des AChR; Mutationen im Rapsyn-Gen AChR: Acetylcholinrezeptor-Ionenkanal.

Klinisches Bild

Das klinische Bild dieser Erkrankungen ist uneinheitlich:

Krankheitsbeginn:

Typischerweise fällt bereits im Säuglingsalter eine Schrei- und Trinkschwäche auf und die weitere motorische Entwicklung, wie das Laufenlernen, ist bei normaler Intelligenz verzögert. Manche dieser Defekte, wie das „Slow-channel“ Syndrom, manifestieren sich jedoch erst im frühen Erwachsenenalter.

Familienanamnese:

Die meisten dieser Syndrome werden autosomal-rezessiv vererbt, weshalb sich in den Familien häufig nur ein erkranktes Kind gesunder Eltern findet. Bestimmte ethnische Gruppen (Balkan, östliches Mittelmeer, Sinti und Roma) scheinen besonders häufig betroffen zu sein.

Symptomatik:

Das Spektrum reicht von einer nur bei besonderen Ausdauerleistungen behindernden Schwäche bis hin zu schweren bereits im frühen Kindesalter tödlichen Krankheitsverläufen. Neben einer andauernden Muskelschwäche registrieren die Erkrankten teilweise selbst, dass körperliche Anstrengung und teilweise auch Wärme zu einer weiteren Abnahme der Muskelkraft führen.

Bei dem Kongenitalen Myasthenie Syndrom mit episodischen Apnoen ist diese Belastungsintoleranz besonders ausgeprägt. Im Kindesalter kommt es hier durch Fieber, Überanstrengung oder aber auch ohne erkennbaren Grund zu Krisen mit einer sich rasch akzentuierenden Schwäche, die gegebenenfalls mit einer lebensbedrohlichen Ateminsuffizienz verbunden ist. Bei diesem Syndrom sind die betroffenen Kinder im Intervall häufig weitestgehend unauffällig. Ursache sind Mutationen im Gen für die Cholin-Acetyltransferase. Bei einigen Kongenitalen Myasthenie Syndromen ist die Beweglichkeit der Augäpfel eingeschränkt.

Klinische Leitsymptome (Neugeborene und Säuglinge)

  • Trinkschwäche
  • Saug- und Schluckstörungen
  • Schwaches Schreien
  • Hypomuskuläre Hypotonie (verminderte Grundspannung der Skelettmuskulatur)
  • Respiratorische Probleme (Atmungsprobleme)

Symptomatik in jedem Alter

  • Ptose, Strabismus, externe Ophthalmoplegie
  • Schwäche der Gesichtsmuskulatur, offener Mund, hoher Gaumen
  • Abnorme Muskelermüdbarkeit
  • Muskelschwäche von Rumpf- und proximaler Extremitätenmuskulatur
  • Progredienz mit Skoliose-Entwicklung
  • Infektausgelöste und/oder belastungsinduzierte Krisen mit respiratorischer Insuffizienz und lebensbedrohlicher Verschlechterung
  • Rezidivierende Apnoen (Atemstillstand)

Diagnostik

  • Anamnese (Leitsymptome, familiäres Auftreten?)
  • Klinische Untersuchung
  • Serologische Diagnostik (Ausschluss möglicher Autoantikörper vermittelter Myasthenien – AchR-,MuSK-,Titin-AK?)
  • Neurophysiologie (repetitive Stimulation: distal / proximal und vor/nach Belastung)
  • Genetische Analysen

Bei der Heterogenität der kongenitalen Myasthenie Syndrome ist vor einer molekulargenetischen Diagnostik eine möglichst genaue klinische Zuordnung des zugrundeliegenden Defekts erforderlich.

z.B.

  • episodische Apnoen
  • präsynaptische CMS (CHAT Mutationen)
  • postsynaptische CMS (RAPSN Mutationen)
  • Fluktuation der klinischen Symptome über Tage und Wochen
  • CMS bei Mutationen im DOK-7-Gen
  • Verlangsamte Pupillenreaktion auf Licht
  • AChE-Defizienz (COLQ Mutationen)

Derzeit sind an allen Stellen der neuromuskulären Übertragung 13 genetisch determinierte Defekte bekannt. Abhängig vom nachweisbaren Erbgang werden die häufigeren autosomal-rezessiven von den selteneren autosomal-dominanten Formen unterschieden.

Therapie:

Einige kongenitalen Myasthenie-Syndrome können gezielt medikamentös beeinflusst werden. Pyridostigmin (Kalymin®, Mestinon®) ist nur bei einem Teil der kongenitalen Myasthenie-Syndrome therapeutisch wirksam. So können bei dem Kongenitalen Myasthenie Syndrom mit episodischen Apnoen die hier auftretenden krisenartigen Verschlechterungen mit vergleichsweise geringen Pyridostigmin-Gaben sehr gut beeinflusst werden. Pyridostigmin kann bei dieser Erkrankung Leben retten.

Eine weitere Behandlungsmöglichkeit bei einigen Kongenitalen Myasthenie-Syndromen besteht in der Gabe von 3,4-Diaminopyridin

Das Slow channel-Syndrom beruht auf einer verlängerten Offenzeit des AChR. Hier werden therapeutisch Chinidinsulfat und Fluoxetin eingesetzt, die den AChR blockieren.

Weiterführende Literatur:

Medizinisches Sonderheft 2011 „DMG-Aktuell“ Deutsche Myasthenie Gesellschaft e.V.