Ärztliche Inkompetenz und Selbstdiagnose „Myasthenia gravis“

Der Weg zur richtigen Diagnose und Medikation ist für viele Erkrankte ein einziger Irrweg – von Arztpraxis zu Arztpraxis und oft konfrontiert mit dem Verdacht, ein Hypochonder oder Simulant zu sein. Ich musste die Ärzte über „Myasthenia gravis“ aufklären. Dabei ist meine Krankengeschichte wohl kein Einzelfall:

2006
Schon lange vor meiner Thymektomie litt ich unter immer stärker werdenden Atem- und Schluckbeschwerden. Ein Lungenfacharzt diagnostizierte nach einigen Untersuchungen ein leichtes Asthma bronchiale und gab mir ein Spray. Das sollte im Akutfall die Symptome lindern. Da aber meine Beschwerden trotz des Sprays blieben, suchte ich verschiedene niedergelassene Ärzte auf. Von denen hielt es keiner für erforderlich, weitergehende Untersuchungen zu veranlassen, z.B. eine Thorax-CT oder wenigstens Thorax-Röntgen.

2007
Durch die Krankenkasse erfuhr ich, dass es bei Asthma bronchiale spezielle Atemübungen gibt. Ich wurde zu einem Internisten überwiesen und erzählte ihm von meiner starken Luftnot und den heftigen Schluckbeschwerden. Nach all der Zeit wurde ich jetzt zum ersten Mal geröntgt, wobei ein großer „Schatten“ im Mediastinum (Mittelfell) festgestellt wurde. Der Arzt handelte sofort: Eine CT wurde veranlasst, mit anschließender Punktion im Krankenhaus.

Obwohl vor meiner geplanten Thymektomie im Krankenhaus regelmäßige „interdisziplinäre Tumorkonferenzen“ stattfanden, kam keiner der Ärzte auf die Idee, das Thymom könnte mit Myasthenia gravis einhergehen. Und obgleich ich neben den Schluck- und Atembeschwerden auch über meine nachlassende Muskelkraft im Alltag klagte, wurde vor der OP nicht abgeklärt, ob nicht auch eine Myasthenie vorliegt.

Unglaublich, aber wahr! Denn, was in jedem Fachbuch steht, sollte auch in der Thorax-Chirurgie bekannt sein: dass nämlich ein Thymom zu mindestens 45 % mit Myasthenia gravis einhergeht.

Im August 2007 wurde mir ein gutartiges Thymom (ca. 11,5 x 11,5 cm und 500 g schwer) samt Thymusdrüse entfernt. Dank der Unwissenheit der Ärzte erhielt ich anschließend weder ein speziell für Myastheniker geeignetes Antibiotikum noch ein passendes Schmerzmittel.

Hält man sich vor Augen, dass bei unserer Erkrankung immer besondere Vorsichtsmaßnahmen, u.a. bei der Narkose, getroffen werden müssen, kann ich das Verhalten aller beteiligten Ärzte bis dato in meinem Fall nur als glattes Armutszeugnis bezeichnen.

Selbst während der Nachkontrolle kam kein Arzt darauf, dass es sich möglicherweise um Myasthenia gravis handeln könne, obschon ich nach wie vor über massive Schluckbeschwerden, Atemnot und zunehmende Schwäche unter Belastung klagte.
Das seien nur die Folgen der Operation, hieß es.

2008
Im Februar überwies mich mein Lungenfacharzt/Allergologe zu einem niedergelassenen Internisten. Ich schilderte ihm meine Atem- und Schluckbeschwerden und auch, dass ich mich sehr schlapp fühle. Das läge einzig und alleine an der Operationsnarbe mit Wundheilungsschmerz, meinte er. Daraufhin zeigte ich ihm die Ergebnisse meiner Internetrecherchen über Thymome in Verbindung mit Myasthenia gravis.
(www.uniklinik-freiburg.de/thoraxchirurgie/live/krankheitsbilder/thymom.html).

Nach mehreren Diskussionen überwies er mich schließlich an einen Neurologen, der sofort einen AK-Test veranlasste. Das Ergebnis war positiv. Er verordnete zunächst 3 x 30 mg Kalymin – das bei mir starke Darmkrämpfe und Durchfall auslöste.
Die Reaktion des Neurologen:„Nehmen Sie es oder lassen Sie es.“
Auf meinen Hinweis, dass ich eine Lactose- und Glutamatallergie habe, meinte er: „Das ist Sache des Apothekers.“

Als weitere Maßnahme stellte er mir eine Überweisung für ein Krankenhaus in Aachen aus. Dort sollte nebst EMG ein Tensilon-Test durchgeführt werden.
Die EMG-Untersuchung untermauerte die Diagnose „Myasthenia gravis“, der Tensilon-Test wurde niemals durchgeführt, da er der Klinik zu teuer war.
Ich bekam Mestinon. Auf meine Frage, ob es Lactose enthielte und gleicheitig auf meine Unverträglichkeit hinwies, antwortete mir eine Oberärztin, dass sie für solche Kleinigkeiten nun wirklich nicht zuständig sei und auch zum Nachschauen keine Zeit habe.

Nach dieser für mich unschönen „Fünf-Minuten-Behandlung“ suchte ich den niedergelassenen Lungenfacharzt/Allergologen erneut auf und berichtete von meinen Beschwerden betreffend Kalymin. Sein Kollege habe völlig recht, bescheinigte er mir und stellte mich vor die gleiche Alternative wie der niedergelassene Neurologe: „Entweder Sie nehmen Kalymin oder Sie nehmen es nicht!“

Anfang Juni wurde ich auf die Deutschen Myasthenie Gesellschaft im Internet aufmerksam und erkundigte mich nach niedergelassenen MG-Spezialisten in der Aachener Region. Ich nahm erneut Kontakt zu dem Krankenhaus auf und erhielt einen Termin für den 27. August. Somit sollte ich mit dieser schweren Erkrankung nach sage und schreibe erst drei Monaten vorstellig werden. Also drängte ich auf einen früheren Termin, den ich aber nicht bekam.

Am frühen Morgen des 2. September suchte ich das Krankenhaus „notfallmäßig“ erneut auf, weil sich mein Befinden mit „schlappen Gliedern“ und durch anhaltenden Durchfall weiter verschlechtert hatte. Da ich mit den Auffassungen eines Oberarztes nicht übereinstimmte, wurde ich von ihm unverzüglich „entlassen“ – mit dem deutlichen Hinweis, wieder dahinzugehen, wo ich hergekommen sei.

Fazit: So bin ich dank der fehlenden Bereitschaft der Ärzte, sich mit meinem Krankheitsbild auseinander zusetzen, seit meiner Thymektomie Ende August 2007 ohne wirksame Medikation.

Verena Dehls

* Name geändert