Das lukrative Geschäft mit der Angst der Patienten

Welt Online – 05.06.2011 – Autor: Sabine Schmitt

Teuer ist das Leben in der gesetzlichen Krankenkasse ohnehin. Die Beiträge steigen Jahr für Jahr. Um nicht, wie jüngst die City BKK, in die Pleite zu schlittern, erheben mehr und mehr Zusatzbeiträge. Doch damit nicht genug: Wer nicht aufpasst, bekommt von seinem Arzt schnell zusätzlich eine Rechnung präsentiert. Und zwar für Leistungen, die von der Kasse nicht übernommen werden.

Glaukom-Vorsorge, Ultraschall, Knochendichtemessung – Individuelle Gesundheitsleistungen (IGeL) nennen sich diese Offerten, die nicht selten auf großen Postern in den Wartezimmern beworben werden.

Oft genug erfüllen die Behandlungen vor allem einen Zweck: Sie füllen den ärztlichen Geldbeutel.

Verbraucherschützer kritisieren, dass so das Vertrauensverhältnis zwischen Arzt und Patient durch wirtschaftliche Überlegungen getrübt wird. Selbst die Bundesärztekammer sieht ein Problem und warnt: „Patienten sind keine Kunden und der Arztberuf ist kein Gewerbe.“

Das Angebot an IGe-Leistungen in den Arztpraxen hat deutlich zugenommen. Auf 1,5 Milliarden Euro belief sich nach einer Rechnung des wissenschaftlichen Instituts der
Allgemein Ortskrankenkassen (WidO) das Marktvolumen im vergangenen Jahr – eine
Steigerung um 50 Prozent seit 2005. Deutlich mehr als einem Viertel der gesetzlich Krankenversicherten wurden 2010 solche Leistungen angeboten, hat das WidO in seiner Umfrage unter knapp 2300 Versicherten diverser Krankenkassen festgestellt.

Dass der Arzt mit der Entwicklung der IGe-Leistungen zunehmend zum Kaufmann wird, sehen Verbraucherschützer kritisch. „Der Patient wird zum Kunden gemacht, ob er das
will oder nicht“, sagt Stefan Etgeton, Gesundheitsexperte beim Verbraucherzentrale Bundesverband. Einen Leistungskatalog der gesundheitlichen Zusatzprodukte sucht der Patient vergebens. „Das ist der freie Markt“, betont Etgeton.

Sowohl Ärzte als auch Praxispersonal werden in Seminaren zu Verkaufsgesprächen geschult. Patienten aber kommen zum Arzt, weil sie krank sind und Hilfe erwarten. Mit handfesten wirtschaftlichen Interessen des Mediziners rechnen sie in dieser Situation
nicht. „Und als Patient ist man nicht auf Augenhöhe mit dem Arzt“, sagt Kai Vogel, von der Verbraucherzentrale Nordrhein-Westfalen.

„Da ist man auf das Fachwissen des Mediziners angewiesen, ökonomische Aspekte sollten da keine Rolle spielen.“ Das finanzielle Interesse sollten Patienten aber nicht unterschätzen. „Wir raten grundsätzlich zu Zurückhaltung“, sagt Etgeton. Das Wichtigste sei Bedenkzeit, weiß Vogel: „Keine einzige Zusatzleistung ist so lebensnotwendig, dass sie sofort erbracht werden müsste.“

Nicht alle angebotenen Leistungen sind Geldschneiderei oder therapeutischer Unsinn. Unter den mehreren hundert IGeL-Angeboten gibt es für viele Patienten auch viel
Sinnvolles. Logisch erscheint es beispielsweise, dass Beratungen vor Fernreisen und die entsprechenden Impfungen nicht zu Lasten der Solidargemeinschaft der Krankenkassen gehen können.