Am 18.April 2009 wählte die Mitgliederversammlung in Bensheim Herrn Professor Dr. med. Fritz Balzereit einstimmig zum neuen Ehrenmitglied der DMG wegen seiner Verdienste um die Behandlung der Myasthenia gravis (MG). Er hat zusammen mit den unvergessenen Professor Mertens seit 1963 die Langzeittherapie der MG mit „immunosuppressive agents“, so die erste Klassifizierung dieser Medikamentengruppe, durch eine – auch heute noch lesenswerte – klinische Arbeit in die Weltliteratur eingeführt (Mertens, Balzereit, Leipert 1969).
Fritz Balzereit wurde 1925 in Hamburg geboren, besuchte das Heinrich-Hertz-Gymnasium, später das Wilhelm-Gymnasium und machte 1947 das Abitur. Von 1943 – 1945 leistete er Wehrdienst, der auch eine Kriegsverwundung mit sich brachte. Nach dem Abitur machte er Praktika in verschiedenen technischen Bereichen. Von 1948 – 1953 studierte er in Hamburg Medizin und wurde danach Medizinalassistent an der I.Medizinischen Klinik des Universitätskrankenhauses Eppendorf (UKE), bei dessen Direktor, Prof.Dr.H.H.Berg, er über die Fraktionierung von Aminosäuren aus Eiweißlösungen promovierte. Von 1956 – 1963 war er Assistenzarzt an der Medizinischen Klinik der Städtischen Krankenanstalten in Dortmund bei Prof.Dr.H.Wenderoth. Nachdem er Facharzt für Innere Medizin geworden war, trat er als Assistenz, später Oberarzt in die Neurologische Universitätsklinik des UKE (Direktor: Prof.Dr.Dr.R.Janzen) ein und leitete bald die Neurologische Intensivstation in Pavillon 59 unten, wo damals die beatmungsbedürftigen MG-Patienten behandelt wurden. Damals begründete er mit Mertens die noch heute lebendige MG-Ambulanz, die damals schon weit über 100 MG-Patienten betreute. 1972 wurde er habilitiert und trat die Stelle eines Chefarztes der Neurologischen Klinik am Allgemeinen Krankenhaus Barmbek an. Nach seinem Ausscheiden 1990 war er noch bis 2000 in freier Praxis tätig.
Damals – die Hypothese, dass die MG zu den Autoimmunerkrankungen gehört, war 1961 von Simpson (Glasgow) begründet worden: die Merkmale des Krankheitsverlaufs, die Kombination der MG mit anderen Autoimmunerkrankungen wie rheumatoide Arthritis, Autoimmunthyreoiditis oder Lupus erythematodes sowie auch ähnliche Thymusdrüsenveränderungen sowie auch einige Autoantikörper ließen sich auch aus der eigenen Erfahrung der beiden internistischen Neurologen Mertens und Balzereit sichern. Der damalige Wert einer Steroid- oder ACTH-behandlung war sehr umstritten. Die initiale Verschlechterung wurde missinterpretiert, die Behandlungsdauer daher oft zu kurz gewählt und auch die Dosis nicht adäquat verwandt, nach ihren eigenen Erfahrungen sollte die Mindestdauer einer Steroidbehandlung etwa 3 Monate betragen. Thymektomien, z.T. auch Thymusbestrahlungen wurden damals natürlich auch regelmäßig durchgeführt.
Nachdem der bekannte Rheumatologe P.Miescher 1963 die ersten Langzeitergebnisse der Behandlung mit Immunsuppressiva bei Autoimmunerkrankungen präsentiert hatte, wurden 38 MG Patienten mit einer rasch progredienten schweren MG oder mangelndem Ansprechen auf eine Thymektomie oder Thymusbestrahlung oder mangelndem Effekt einer Steroidbehandlung mit 6 – Mercaptopurin, Azathioprin, Methotrexat oder Sanamycin behandelt. Sie erhielten MG-Notfall-Ausweise, Hinweise für die Überwachung durch den Hausarzt, wurden alle 3 Monate stets durch denselben Neurologen in der MG-Ambulanz gesehen. Ein eigener Score bewertete die Entwicklung der Muskelkraft.
Das Ergebnis war, dass in über 50 % aller behandelten MG-Patienten eine markante Besserung eintrat, die optimale Wirkung nach etwa 4 bis 15 Monaten gesehen wurde, bei längeren Behandlungspausen eine allmähliche Verschlechterung einsetzte, die Zahl der myasthenen Krisen dramatisch zurückging, in immerhin 2 MG-Fällen schließlich kein Pyridostigmin mehr nötig war. Auch wurde beschrieben, dass es refraktäre Fälle gibt bzw. nach einem Verlauf von mehr als 10 Jahren wenig Hoffnung besteht auf einen deutlichen Effekt. Schließlich wird die Erfahrung erwähnt, dass die Kombination von Steroiden und Immunsuppressiva eine noch deutlichere Besserung bewirken kann. Damit war die Tür zur auch heute noch gültigen Standardtherapie der MG aufgestoßen.
Eine vom klinischen Problem des Patienten ausgehende Analyse unter Einbeziehung des damaligen Wissens über die MG sowie – das scheint mir besonders wichtig – eine fachübergreifende internistisch-neurologische Zusammenarbeit waren der eigentliche Schlüssel zum Erfolg – neben dem (eher internistischen) Mut, einen Schritt in Neuland zu wagen.
Professor Balzereit hat auch wesentlich zur Etablierung der hochdosierten Immunglobulin-Therapie bei MG beigetragen und sich als einer der ersten Neurologen mit den sozialen und rehabilitativen Sorgen der MG-Patienten befasst. Unvergesslich sein oberärztliches Leitmotiv: „Denken Sie daran: der Myastheniepatient hat immer recht“ – was eine umfassende Mahnung an das Zuhören und Verstehen als erstem Schritt in der Begegnung mit dem Kranken bleibt.
Mertens HG, Balzereit F, Leipert M: The Treatment of Severe Myasthenia Graviswith Immunosuppressive Agents. Europ Neurol 2 (1969): 321 – 339
(R.W.C. Janzen, Bad Homburg)
Ein sehr interessanter Kommentar über die Arbeit und das Engagement des Herrn Professor Balzereit!
Sein oberärztliches Leitmotiv – Denken Sie daran: Myastheniepatienten haben immer recht – finde ich sehr motivierend und zeigt, dass wir – als betroffene Myastheniker – uns einfach mehr durchsetzen und auf die innere Stimme unseres Körpers hören müssen.
Wie recht Herr Professor Balzereit mit seiner o.g. Aussage hat…
Ihnen allen eine gute Zeit!
Mit freundlichen Grüßen
Jutta O.